"Meeresrauschen"

Meerescollagen und Klangobjekte aus der Fischdose

Sonntag, 12.12.10

Vernissage

um

11 vor 11

Rauschzeiten:

So. 19.12, So. 02.01., So. 09.01.

immer 11 vor 11 bis 12 nach 12

Eine Klanginstallation von Jördis Drawe und Uwe Schüler
mit "Meeresrauschen aus der Fischdose" und Wasserfotocollagen,
die sie kürzlich für die INTERFICTION in Kassel entwickelt haben.
Dazu gibt es Matjesbrötchen, Tee und Grog.

Begrüßung: Serge Le Goff

Einführung:Annette Wörner

 

Meeresrauschen.
Klanginstallation mit "Meeresrauschen aus der Fischdose"
und Meerescollagen von Jördis Drawe und Uwe Schüler
Jördis Drawe, die in Kassel experimentelle Fotografie studierte, und Uwe Schüler, Elektronikingenieur und Medienkünstler, betreiben seit 2005 den KulturGüter-Schuppen in Dusslingen, wo sie zusammen Licht- und Klangkunstprojekte realisieren sowie Workshops veranstalten.
Die Künstler folgten gerne dem Ruf des Kollegen Serge Le Goff, der, wie den meisten hier bekannt sein dürfte, den Raum des Kunstamts für ein Jahr gemietet und zum „Tresorraum für Elektrische Kunst“  proklamiert hat. Hier bietet er Künstlern, die - in welcher Form auch immer - mit Strom zu haben, eine Präsentationsmöglichkeit ihrer Medienkunst. Dieses Projekt wird nach vielen interessanten Ausstellungen inzwischen allgemein als erhaltenswerte Institution der Tübinger Kunstszene gesehen. Deshalb wird es im kommenden Jahr von Robin Broadfoot und Künstlerkollegen weitergeführt. Wir dürfen also auch im neuen Jahr gespannt sein, was uns Tübinger Tresorraum für Elektrische Kunst“ alles begegnen wird. Gemeinschaftsarbeit hier verknüpft thematisch Fotocollagen von Jördis Drawe mit Klangobjekten, die aus einer gemeinsamen Idee entstanden, von Uwe Schüler entwickelt und von beiden gemeinsam als Serie von 20 Multiples aufgebaut wurden.
Wichtiges Element ihrer Arbeiten ist die künstlerische Aufwertung von Alt- und Recyclingmaterial. Die Bestandteile ihres Meeresrauschens aus der Fischdose stammen aus dem gelben Sack, die elektronischen Bauteile überwiegend aus Elektroschrott. So erklären sie z. B. zu einer Lichtinstallation aus Schaumstoffverpackungen, die letztes Jahr
während des CAMP-Festivals im württembergischen Kunstverein zu sehen war:
(Zitat)" Wir leben in einer übersättigten Konsumgesellschaft, in der Produkte immer schneller, billiger und kurzlebiger produziert werden. Der Zuwachs an Gebrauchswert oder Gewinn an Lebensqualität nimmt dabei mit jeder Produktgeneration ab oder wird gar negativ. Dagegen wird der Marketingaufwand, der sich in der Produktverpackung materialisiert, immer größer. Das Verhältnis Verpackung zu Produkt im Hinblick auf  Designaufwand, Funktionalität, Kosten usw. verschiebt sich deshalb immer weiter Richtung Verpackung. Diese Werteverschiebung greifen wir auf und übertreffen nun die Anstrengungen der Marketingabteilungen: Das wertlose Einwegprodukt wandert gleich zum Müll, die Verpackung wird durch kreative Modifikation zum Produkt beseelt. Die postkonsumistische Gesellschaft kann erreicht werden, wenn nur noch sinn und nutzspendende Verpackungen anstatt sinn- und nutzloser Produkte gefertigt werden".
Für die Fischdosen, aus denen das Meeresrauschen ertönt, und die Saftflaschenverschlussfüße, auf denen das Klangobjekt steht, gilt: der Gebrauchswert definiert nicht das Verhältnis von Inhalt zu Verpackung. Der Inhalt hat seine Pflicht erfüllt und ist bereits den Weg alles Vergänglichen gegangen. Hier liegt ein krasses Missverhältnis in der Lebensdauer vor: Wochen beim Inhalt, Jahrtausende zumindest bei den Plastikdeckeln.
Die Konsumkritik der Künstler hört hier aber nicht auf. Sie verzichten seit langem auf Radio und Fernsehen. 2006 vergruben sie im Solothurner Kunstraum S11 ein der Antenne beraubtes, "sich selbst genügendes Radio" in einem synthetischen Garten. Statt nervigem Privatsendergeplapper und eintönigem Mainstreammusikbrei tönte nur noch ätherisches Rauschen aus dem Boden. Nach längerem Zuhören produziert das Gehirn seine eigene Sendung, die zumindest von Drawe und Schüler den meisten Radio- und Fernsehprogrammen vorgezogen wird.

Beim Meeresrauschen aus der Fischdose wird es dem Zuhörer einfacher gemacht. Die Künstler wollen hiermit (Zitat) "eine preiswerte, leicht konsumierbare, nebenwirkungsarme Ausstiegsdroge aus der Radio- & Fernsehsucht" anbieten. Sie behaupten:" Schon eine 2-monatige
Meeresberauschung mit etwa halbstündigen abendlichen Sitzungen reduziert die Medienabhängigkeit um bis zu 53,7%".
Der psychoakustische Effekt wird durch Jördis' Drawes Meerescollagen visuell verstärkt. Als Ausgangsmaterial dienen Fotos von Wasser und Meer, die in den letzten 20 Jahren vor allem an der Oder und der Ostsee entstanden. Fotografiert und collagiert wurde rein analog und manuell. Dem aufmerksamen Betrachter wird hier das Rauschen auf zwei Ebenen sichtbar.
Rauschen kann echter Zufall sein, oder auch Chaos – Zufall mit Struktur. Die Collagenelemente zeigen solche natürlichen Strukturen und folgen in der Anordnung wiederum scheinbar zufälligen, letztendlich aber von der Künstlerin festgelegten Strukturen. Die materialbedingte Körnung der Filmschicht ist hingegen echtes, also zufälliges, strukturloses Rauschen. Dieses entspricht dem tonlosen Klang des Meeresrauschens, so, wie die chaotischen Strukturen der Bilder der Melodie, dem ewigen Rhythmus des Wellenschlags gleichen. Übrigens ist auch der Rhythmus dieses synthetischen Meeresrauschens nicht gleichförmig: Das blaue Leuchten, das aus der Dose dringt, steuert die Stärke des Wellenschlags. Bei Tageslicht wird das Meer unruhiger und lauter, bei Nacht, ist es nach dem Wellenschlag still bis zur nächsten Welle.
Lassen Sie sich also akustisch und visuell berauschen. Sie können die Rauschwirkung noch durch den Konsum von Matjesbrötchen, heißem Tee oder Grog, die es im Vorraum gibt, verstärken.  

 

Annette Wörner